Zersiedelungsgrad und Bebauungstrends
In Österreich stehen die Reduzierung und Unterbindung der Zersiedelung seit Jahren im Fokus politischer Diskussionen und sind Teil nationaler Klima- und Bodenschutz-Strategien. "Zersiedelte Strukturen gefährden das Erreichen von Klima- und Naturschutzzielen. Sie sind eine ökologisch besonders belastende Form der Bebauung: Für jede neue Wohnung, für jeden neuen Arbeitsplatz wird die meiste Landfläche benötigt", betont Mitautor Helmut Haberl vom Institut für Soziale Ökologie an der BOKU. Ihre Errichtung sei besonders ressourcenintensiv, da längere Verkehrswege gebaut werden müssten. Auch die Nutzung führe zu höheren Emissionen, beispielsweise durch den hohen Mobilitätsbedarf und die erschwerte Versorgung mit klimaverträglicher Energie wie Fernwärme, so Haberl weiter. "Die Studie zeigt, dass fast 40 Prozent der einen Hektar großen Rasterzellen im Dauersiedlungsraum bebaut sind, was bisher unbekannt war. Besonders besorgniserregend ist, dass die landfressendste und ressourcenintensivste Form der Bebauung, also jene mit einem sehr hohen Zersiedelungsgrad, am schnellsten wächst."
Bedeutung der Zersiedelung für den Klimaschutz
Täglich verliert Österreich rund zwölf Hektar an natürlichem Boden. Mehr als die Hälfte davon wird asphaltiert oder zubetoniert. "Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Klima: Böden binden Treibhausgase aus der Atmosphäre", machte Katharina Rogenhofer vom Kontext Institut für Klimafragen bei der Präsentation der Studienergebnisse in Wien deutlich. Besonders effektiv seien dabei intakte Moore. Aber auch Grünland, Wälder und nachhaltig bewirtschaftete Äcker können CO2 speichern. Gut bewässerte Böden kühlen zudem gemeinsam mit der Vegetation die Umgebung. "Die Bedeutung funktionsfähiger Böden hat sich besonders in den vergangenen Wochen gezeigt: Sie sind entscheidend, damit Wasser gut versickern kann. Fehlen sie, werden Katastrophen wie Überschwemmungen und Erdrutsche häufiger und gravierender."
Maßnahmen zur Eindämmung von Zersiedelung
"Trotz einiger Anstrengungen in den vergangenen Jahren konnten noch immer keine signifikanten Erfolge bei der Lösung dieses Problems erzielt werden. Es wird weiterhin gebaut und verbaut", betont Mitautor Gernot Stöglehner vom Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung an der BOKU. Dabei seien wirksame Maßnahmen längst bekannt: "In der Raumplanung könnten beispielsweise überörtliche Baulandgrenzen für alle Ortschaften im Rahmen einer gestärkten Regionalplanung festgelegt werden. Innerhalb dieser Baulandgrenzen sollten Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Erholung und Bildung nach dem Prinzip der kurzen Wege und in maßvoller Dichte angesiedelt werden." Statt "auf der grünen Wiese" zu bauen, sollten verstärkt Baulücken und Nachverdichtungspotenziale innerhalb von Siedlungen genutzt werden. Um dies zu ermöglichen, müsse mehr Bauland verfügbar gemacht werden. "Die Belassung von Baulücken und Leerstand sollte Kosten verursachen, insbesondere durch eine eigene Grundsteuerkategorie. Ein quantitatives Bodenschutzziel ist notwendig, um wirksame Strategien zur Reduktion der Flächeninanspruchnahme zu etablieren", so Stöglehner. In diesem Zusammenhang sei die hier vorgelegte Messung des Zersiedelungsgrades hilfreich. Weitere Handlungsempfehlungen formulieren die Forschenden in ihrem frisch erschienenen Working Paper, das die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfasst.
Originalpublikation (Open Access)
Brenner, A.-K.; Krüger, T.; Haberl, H.; Stöglehner, G.; Behnisch, M. (2024): Rapider Anstieg der Zersiedelung in Österreich von 1975 bis 2020. Eine räumlich explizite Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Wohnbevölkerung. Social Ecology Working Paper 198. Wien: University of Natural Resources & Life Sciences (BOKU). [ISSN 1726-3816]
Zersiedlung weltweit: stärkster Anstieg in Europa
Das IÖR forscht bereits seit längerem zur Zersiedlung. 2022 hatten Wissenschaftler des Institutes Ergebnisse zu ihrer weltweiten Entwicklung vorgelegt. Schon damals wurde deutlich, dass die Zersiedelung der Landschaft insbesondere in Europa zu einer Herausforderung wird. Der Kontinent war im Jahr 2014 nicht nur am stärksten zersiedelt. Ein Vergleich aller Kontinente zeigte zudem, dass die Zersiedelung zwischen 1990 und 2014 in Europa am stärksten vorangeschritten war.
Weitere Informationen in der IÖR-Medieninformation vom 17.11.2022
Text: Astrid Kleber (BOKU University) und Heike Hensel (IÖR)
Wissenschaftlicher Kontakt im IÖR
Anna-Katharina Brenner, E-Mail: a.brennerioer@ioer.de
BU: Die Abbildung zeigt, wie sich der Grad der Zersiedelung in den Bundesländern Österreichs zwischen 1975 und 2020 entwickelt hat. In den meisten Ländern ist der Anteil stark und sehr stark zersiedelter Flächenanteile auf Kosten von Flächenanteilen mit geringer bis sehr geringer Zersiedelung gestiegen. Bei der Analyse wurde auch die Wohnbevölkerung in den Bundesländern Österreichs berücksichtigt. (Quelle: A.-K. Brenner et. al. 2024)