Allerdings macht der Bericht auch deutlich, dass rechtliche und förderpolitische Instrumente der Naturschutzpolitik unzureichend umgesetzt oder vollzogen werden, oft durch eine fehlende Abstimmung mit anderen Nutzungsinteressen. Eine größere Verbindlichkeit könnte der Biodiversitätsschutz erhalten, wenn er an höherrangige Rechte geknüpft würde, beispielsweise in Form eines Menschenrechts auf gesunde Umwelt oder eines grundgesetzlich gewährleisteten Eigenrechts der Natur.
Insgesamt macht der Bericht Hoffnung, dass sich der Verlust an biologischer Vielfalt mit gezielten Maßnahmen stoppen lässt. Ein ganzer Themenbereich widmet sich dem "Transformationspotenzial zum Erhalt der biologischen Vielfalt". An diesem Kapitel haben die IÖR-Wissenschaftler Karsten Grunewald als Leitautor und Markus Egermann mitgeschrieben. "Ein wichtiger Punkt wird es sein, biologische Vielfalt sowie Ökosysteme und ihre Leistungen als entscheidende Faktoren für unsere wirtschaftlichen Aktivitäten anzuerkennen. Aus diesem Zusammenspiel ergeben sich erhebliche Risiken, aber auch Chancen für Unternehmen und die Volkswirtschaft. Es muss uns gelingen, Biodiversität in die Bilanzberichterstattung von Unternehmen, aber auch auf staatlicher Ebene zu integrieren. So wäre sichergestellt, dass wir nicht mehr gegen die Natur wirtschaften", erklärt Karsten Grunewald vom IÖR.
Markus Egermann, Leiter des Forschungsbereichs "Transformative Kapazitäten" am IÖR, ergänzt: "Angesichts der vielen politischen Krisen auf dem Planeten, rücken ökologische Fragen derzeit in den Hintergrund. Andere Probleme werden als dringender wahrgenommen. Das ist verständlich, zeigt aber auch, dass die Krise, die hier auf uns zurollt, noch nicht vollständig verstanden wurde. Wie der Bericht zeigt, steigt das Risiko, dass aufgrund der massiven Reduktion der biologischen Vielfalt unsere Ökosysteme in ihrer Funktion gestört werden. Dies kann dramatische Folgen, etwa für unsere Ernährungssysteme haben, die ja selbst maßgeblich zum Verlust biologischer Vielfalt beitragen. Sollten diese Ökosysteme in ihrer bisherigen Funktion ausfallen, sind die Konsequenzen weitreichender als die Folgen aller derzeitigen Kriege zusammen. Es muss uns gelingen, die politischen Krisen zu bearbeiten und zu lösen und mit der gleichen Ernsthaftigkeit einen tiefgreifenden Wandel im Umgang mit den Ökosystemen auf unserem Planeten zu forcieren."
Für das notwendige weitreichende Umdenken liefert der Faktencheck Artenvielfalt Empfehlungen, denn die Wissenschaftler*innen haben erfolgreiche Projekte analysiert, um die Bedingungen für Transformation zu verstehen. Sie identifizieren eine Vielfalt von Motivationen und Akteur*innen, gelungene Partizipation und auch ökonomischen Nutzen als entscheidende Faktoren für erfolgreiche Ansätze.
Der wissenschaftliche Bericht "Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland" ist am 1. Oktober 2024 im oekom-Verlag erschienen und steht online zum kostenlosen Download bereit. Er wird flankiert von einer Zusammenfassung für die gesellschaftliche Entscheidungsfindung.
Weitere Informationen zum Faktencheck
Wissenschaftlicher Kontakt im IÖR
Dr. Karsten Grunewald, E-Mail: k.grunewald@ioer.de
Hintergrund
Der Faktencheck Artenvielfalt ist im Rahmen der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) entstanden. In dieser Forschungsinitiative fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wissenschaftliche Projekte zur Analyse der Biodiversität in Deutschland sowie zur Entwicklung und Umsetzung innovativer, effektiver Maßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der biologischen Vielfalt. Derzeit gehören 39 Projekte zur FEdA. Die Initiative unterstützt dabei im Sinne einer „transformativen“ Wissenschaft den zielgerichteten Austausch zwischen Forschung, Politik, Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz und Zivilgesellschaft.