Görlitz als Vorbild für indische Städte - Forschung mit dem Bundeskanzler-Stipendium am IÖR

Im Oktober endete der Gastaufenthalt von Wissenschaftler Raghav Anand aus Indien am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Er hatte eines der renommierten Bundeskanzler-Stipendien der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten. Ein Jahr lang konnte er damit sein Forschungsprojekt zum Thema Klimaanpassung in kleineren indischen Städten vorantreiben. In diesem Zusammenhang untersuchte er auch, welche Aspekte der Forschungsarbeiten des IÖR in Dresden und Görlitz sich auf indische Städte übertragen lassen. Ein Interview aus seiner Zeit am IÖR.

Welchen akademischen Hintergrund und welche Forschungserfahrung haben Sie?

Ich habe meinen Bachelor in Philosophie und Wirtschaft an der Emory University in Atlanta in den USA gemacht. Danach habe ich für verschiedene Nichtregierungsorganisationen gearbeitet. Von der American India Foundation habe ich ein Stipendium für einen Aufenthalt in Indien erhalten. Dieser führte mich zur Organisation Sarvajal, was „Wasser für alle“ bedeutet. Ich habe dort geholfen, ein Netz von Wasserreinigungsanlagen im ländlichen Indien aufzubauen.

Während meiner Arbeit in diesem Bereich habe ich gelernt, wie sich das Thema Wasser auf Aspekte der Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit und auf andere Möglichkeiten der Entwicklung auswirkt. Ich begann mich dafür zu interessieren, die Wasserproblematik aus einem eher politischen oder übergeordneten Blickwinkel zu betrachten. Deshalb habe ich meinen Master in einer Kombination aus Public Policy und Makroökonomie gemacht, aber mit Schwerpunkt auf Klimawandel, Energie und Nachhaltigkeit.

Während meines Masterstudiums habe ich unter anderem als Forschungsassistent bei der Initiative für nachhaltige Energiepolitik, einer Denkfabrik der Johns Hopkins University, gearbeitet. Insgesamt war ich aber eher im zivilgesellschaftlichen Bereich tätig. Die Zeit am IÖR ist sozusagen mein erster Ausflug auf die akademische Seite der Forschung gewesen.

Wie beeinflusst das Stipendium Ihre Forschungstätigkeit? Welche Erwartungen und Hoffnungen knüpfen Sie an die Förderung?

Schon vor Beginn des eigentlichen Stipendienaufenthaltes hat diese Förderung meine Forschung geprägt. Ich habe den Antrag in enger Abstimmung mit Markus Egermann und Robert Knippschild vom IÖR ausgearbeitet. Dieser Austausch zum Forschungsfeld und die gemeinsame Ausarbeitung des Antrags waren einer der hilfreichsten Schritte während des gesamten Stipendiums.

Und was das Projekt betrifft: Ich betrachte einige der in Europa durchgeführten Pilotprojekte und versuche, einen Kommunikationskanal zwischen europäischen Städten, europäischen Think Tanks und indischen Partnern aufzubauen. Meine Hoffnung ist, dass meine Arbeit nicht mit dem Projekt endet.

Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt?

Ich befasse mich mit Blick auf den Umgang mit Klimawandel und Klimaanpassung mit dem sogenannten „Transition Management“, also einem Ansatz, der darauf abzielt, den Übergang zu nachhaltigeren Lebensweisen durch partizipative Prozesse und gemeinsame Entscheidungsfindung zu erleichtern. Ich untersuche insbesondere, wie dieser Ansatz in Görlitz zum Beispiel im Projekt TRUST erprobt wird. Mein Ziel ist es herauszufinden, ob der Ansatz allgemein anwendbar ist und, wenn ja, welche Bestandteile davon auf Indien oder andere Entwicklungsländer übertragbar sind, insbesondere auf kleinere Städte.

Meiner Meinung nach könnte dies ein guter Weg für kleinere und mittlere indische Städte sein, mit dem Klimawandel umzugehen, sowohl mit Blick auf Klimaanpassung als auch auf den Klimaschutz. Bei meiner bisherigen Arbeit habe ich festgestellt, dass vor allem die größten Städte in Indien eine Vielzahl von Klimaaktionsplänen erstellt haben. Aber einige der – für indische Verhältnisse – kleineren Städte tun sich schwer damit, überhaupt einen Masterplan aufzustellen, geschweige denn einen Masterplan, der die Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigt. Vielleicht lassen sich hier Ansätze, die in Deutschland – wie etwa in Görlitz – erprobt werden, auf den indischen Kontext übertragen.

Aus welchen Gründen haben Sie das IÖR als Gastinstitut gewählt?

Ich denke, dass das IÖR in diesem Bereich wirklich Pionierarbeit leistet. Insbesondere die Arbeit in Görlitz war für mich sehr interessant, weil sie eine Mischung aus theoretischen Ansätzen und praktischer Anwendung der Theorie ist. Auch in Dresden wurde viel dazu geforscht. Es gibt großartige Forschung am IÖR und die Namen etlicher Forschender des Institutes waren mir auch schon bei meinen Vorrecherchen begegnet.

Darüber hinaus lässt sich weltweit eine gewisse politische und kulturelle Verschiebung nach rechts beobachten. Diese Entwicklung gibt es auch in Indien, und ich weiß, dass das in Ostdeutschland auch eher der Fall ist als in Westdeutschland. Dresden und Görlitz sind also auch deshalb interessante Städte, weil die Forschung und die Experimente, die dort stattfinden, immer in diesen politischen Kontext eingebettet sind.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Forschenden hier am IÖR?

Ich erhalte viel Unterstützung von den Kolleginnen und Kollegen, die sogar über das hinausgeht, worum ich sie bitte. Alle sind sehr hilfsbereit und nehmen sich Zeit für Gespräche. Es gibt konkrete Angebote für die Zusammenarbeit und gemeinsame Veröffentlichungen. Es ist toll, dass Menschen mit so unterschiedlichen fachlichen Hintergründen unter einem Dach zusammenarbeiten.

Wie gefällt es Ihnen bisher in Dresden?

Bevor ich hierher kam, wusste ich nicht viel über Dresden. Ich war ein wenig nervös, weil ich der einzige Stipendiat hier war, fast 70 Prozent der anderen Stipendiat*innen arbeiten in Berlin. Aber ich habe hier eine tolle Gemeinschaft gefunden. Es gibt auch eine Menge an Sportarten, die ich gerne mache und denen ich hier nachgehen kann. Dresden ist eine großartige Stadt. Sie ist wirklich international. Ich wohne in der Neustadt und ich liebe es dort wirklich sehr.

Was vermissen Sie an Ihrem Zuhause in Indien?

Das Essen. Ja, das Essen vermisse ich schon sehr. Dresden hat eine wirklich gute internationale Küche, aber ich habe bisher noch kein WIRKLICH atemberaubendes indisches Essen finden können. So war ich gezwungen, viel mehr selbst zu kochen, was ja auch gut ist. (lacht)

Sie forschen noch bis Oktober 2024 hier am IÖR. Welche Pläne haben Sie für die Zeit nach dem Stipendium?

Bisher habe ich noch keine festen Pläne. In einem nächsten Schritt möchte ich mich gerne mehr auf den Bereich konzentrieren, in dem ich arbeite, und zwar auf die Fortsetzung meiner Forschung im Zusammenhang mit Stadtplanung und Klimawandel. Ich bin offen für alle Möglichkeiten, die sich mir bieten, in diesem Bereich arbeiten zu können.

Das Interview führte: Bernadette Schwab (Wissenschaftliche Hilfskraft am IÖR)


Über das Bundeskanzler-Stipendium

Das Bundeskanzler-Stipendienprogramm der Alexander von Humboldt-Stiftung richtet sich an international orientierte Hochschulabsolvent*innen mit ersten Führungserfahrungen aus Brasilien, der Volksrepublik China, Indien, der Russischen Föderation, Südafrika und den USA. Zielgruppe sind angehende Entscheidungsträger*innen, Multiplikator*innen und Impulsgeber*innen aus einem breiten Spektrum von Arbeitsbereichen, darunter Politik, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Mit Hilfe dieses Stipendienprogramms erhalten sie die Möglichkeit, für ein Jahr nach Deutschland zu kommen, um nach neuen Antworten auf die globalen Fragen unserer Zeit zu suchen und sich zu vernetzen. Während ihres Aufenthalts in Deutschland führen die Bundeskanzler-Stipendiat*innen eigenständig entwickelte, forschungsnahe Projektvorhaben durch, die von gesellschaftlicher Relevanz sind und das Potenzial einer nachhaltigen, öffentlich sichtbaren Wirkung haben.

Weitere Informationen zum Bundeskanzler-Stipendium

 

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