Der Einfluss räumlicher und relationaler Nähe und Distanz bei der Entstehung sozialer Innovationen

Eine vergleichende Fallstudie als Beitrag für eine raumsensible Betrachtung von Ökosystemen sozialer Innovationen im Kontext der Debatte um eine sozial-ökologische Transformation

Hintergrund

Soziale Innovationen, als rekonfigurierte und neu kombinierte soziale Praktiken (Howaldt & Schwarz, 2010), werden in der Debatte zu einem notwendigen gesellschaftlichen Wandel immer häufiger als signifikante Katalysatoren thematisiert. Insbesondere für eine sozial-ökologische Transformation seien deren Genese und Diffusion grundlegende Bedingung (Boddenberg, 2017). Da die Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen sozialer Innovationen immer noch unzureichend durchdrungen sind (vgl. u.a. Kleverbeck & Terstriep, 2018, Ruijsink et al., 2017), soll es Aufgabe dieses Projektes sein, hier weiterführende Erkenntnisse zu generieren. Dabei wird sich vor allem auf einen Aspekt konzentriert, der in der Literatur noch völlig unzureichend behandelt wird: die "Geographie" derartiger Prozesse.

Ziel der Forschungsarbeit ist es also, die Bedeutung von Raum bei der Entstehung sozialer Innovationen genauer zu bestimmen.

Das Vorhaben stützt sich dabei auf ein dynamisches und relationales Raumverständnis. Aufbauend auf der Idee, dass soziale Innovationen das Ergebnis komplexer Vernetzungsprozesse zwischen Menschen aber auch nicht-menschlichen Entitäten sind (Laux, 2019), erfolgt die Bestimmung der Geographie ihrer Entstehung anhand der räumlichen Ausprägung der zugrunde liegenden Beziehungen. Raum wird dabei in Anlehnung an wirtschaftsgeographische Untersuchungen über die Konzepte der "Nähe" und "Distanz" erschlossen. Dass das Ausmaß an Nähe (und Distanz) zwischen Innovationsakteuren eine zentrale Rolle für die notwendig stattzufindenden Wissensaustausch-, Lern- und Erfahrungsbildungsprozesse spielen, belegen dabei eine Vielzahl empirischer Studien (vgl. u.a. Ibert et al., 2014, Ibert & Kujath, 2011, Boschma, 2005). Diese zeigen, dass räumliche Nähe oftmals nur eine unterstützende Funktion hat, der Innovationsprozess jedoch stark mit der Ausprägung der Differenzen auf Beziehungsebene, sprich, relationalen Nähe- und Distanzdimensionen, zusammenhängt. Leider sind Untersuchungen hierzu bisher insbesondere auf technologische Innovationen beschränkt.

Das Projekt prüft daher, inwieweit geographische (räumlich, temporär räumliche und quasi-räumliche) sowie relationale (kognitive, organisationale, institutionelle, soziale und persönliche) Nähe- und Distanzformen einen raumbasierten Ansatz bieten, um den Entstehungsprozess sozialer Innovationen erklären zu können.

Leitende Forschungsfragen und Methodik

Die forschungsleitende Fragestellung ist: Welche Rolle spielen räumliche und relationale Nähe- und Distanzdimensionen bei der Entstehung von sozialen Innovationen? Die weiterführenden Forschungsfragen sind:

F1: Wie werden Beziehungen der Nähe und Distanz bei der Entstehung sozialer Innovationen ausgestaltet und welche räumlichen und welche relationalen Nähe-/Distanzformen zeigen sich wiederkehrend im Entstehungsprozess einzelner sozialer Innovationen?

F2: Welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten lassen sich für die herangezogenen Fallbeispiele sozialer Innovationen in Bezug auf die Relevanz räumlicher und relationaler Nähe bzw. Distanz feststellen?

F3: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen den jeweiligen Formen von Nähe und Distanz bei der Entstehung sozialer Innovationen? Lassen sich komplementäre / substituierende Facetten dieses Zusammenspiels zu erkennen?

F4: Welche Aussagen lassen sich zur Bedeutsamkeit räumlicher Nähe in Bezug auf die Entstehung sozialer Innovationen treffen?

F5: Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den gewonnenen Erkenntnissen für eine räumlich informierte Version des Ökosystemansatzes sozialer Innovationen ziehen?

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird eine qualitative Mehrfallstudie durchgeführt. Hierfür werden die Entstehungsgeschichten fünf sozialer Innovationen im Bundesgebiet mithilfe der Methode der Innovationsbiographien (Kleverbeck & Terstriep, 2017, Butzin, 2009, 2012) genauer untersucht. Innovationsbiographien sind ein qualitativer Ansatz der Innovationsforschung, dem die Annahme zugrunde liegt, dass Innovationen "aus interaktiven Entwicklungsprozessen hervor[gehen], an denen verschiedene Akteure beteiligt waren" (vgl. Asheim/Gertler 2005: 293 in Butzin, 2009: 189). Basierend auf der Lebensbiographieforschung aus den Humanwissenschaften als auch dem in humangeographischen Studien genutztem Untersuchungsansatz "follow the thing" (Cook & Harrison, 2007), bei dem die Entstehung und Entwicklung von Alltagsgegenständen nachvollzogen wird, ermöglichen Innovationsbiographien die raum-zeitliche Erfassung von Innovationsprozessen. Die Entstehungsprozesse der untersuchten sozialen Innovationen können so in ihrem Verlauf rekonstruiert, analysiert, dargestellt und verglichen werden. Die Genese der ausgewählten neu konfigurierten sozialen Praktiken im Bereich der Ernährung, Energie, Gesundheit, Online-Kollaboration sowie dem Bereich der Telekommunikations- & Internetinfrastruktur wird so mit Blick auf die Bedeutung der genannten Nähe- und Distanzdimensionen nachvollzogen und soll durch eine vergleichende Untersuchung Aufschluss über die übergreifenden räumlichen Entstehungsmuster sozialer Innovationen liefern.

Ausblick

Ziel ist es, über einen Vergleich unterschiedlicher sozialer Innovationen allgemeingültige Aussagen zur Bedeutung räumlicher und relationaler Nähe- und Distanzdimensionen bei der Entstehung dieses eigenständigen Innovationstypus´ zu treffen. Die Arbeit liefert damit wichtige Anknüpfungspunkte für eine Geographie von Innovations- und Transitionsprozessen und hofft einen räumlich informierten Beitrag zur Vision einer sozial-ökologischen Transformation zu leisten.

Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. wird gemeinsam durch Bund und Länder gefördert.

FS Sachsen

Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.