Insekten in Naturschutzgebieten – Pufferzonen könnten Pestizidbelastung minimieren

Insekten in Naturschutzgebieten sind stark mit Pestiziden belastet. Das zeigt eine kürzlich in der Fachzeitschrift "Scientific reports" veröffentlichte Studie. Sie ist Teil des interdisziplinären Forschungsprojektes "DINA – Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen", das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) hat mit einer Raumanalyse zu der Studie beigetragen. Sie zeigt, dass Insekten in Naturschutzgebieten durch zusätzliche Pufferzonen besser vor Pestiziden geschützt werden könnten.

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind nachweislich mehr als 75 Prozent der Biomasse an Insekten in deutschen Naturschutzgebieten verschwunden. Die vom Weltbiodiversitätsrat (IPBES) beschriebene Biodiversitätskrise findet in Deutschland also auch mitten in Schutzgebieten statt. Das Fatale: Ohne Insekten brechen Ökosysteme zusammen, können zum Beispiel Pflanzen nicht mehr ausreichend bestäubt werden. Experten vermuten Pestizide als einen der Hauptverursacher für den dramatischen Rückgang. Bisher wurden diese im Schutzgebietsmanagement jedoch nicht beachtet, Risikoanalysen fehlen und konventionell mit Pestizideinsatz bewirtschaftete Ackerflächen liegen mitten in Schutzgebieten oder umranden diese.

Im Rahmen des Projektes DINA (Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen), in dem unter der Leitung des NABU neun Partner über vier Jahre die Insektenvielfalt in Naturschutzgebieten in Deutschland erfassen, dokumentieren und auswerten, wurde die Pestizidbelastung von Insekten unter die Lupe genommen. Dabei wurde vom für diesen Teil der Studie verantwortlichen Forschungsteam der Universität Koblenz-Landau mit einer neu entwickelten Methode erstmals untersucht, wie stark die Insekten selbst belastet sind. Um die Insekten zu fangen, wurden in 21 Schutzgebieten sogenannte Malaisefallen eingesetzt. Dabei werden die erfassten Insekten in Alkohol konserviert, der gleichzeitig als Lösungsmittel für die an den Insekten haftenden Pestizide wirkt. "Unsere Daten zeigen deutlich, dass Insekten in Naturschutzgebieten mit einem Cocktail aus Pestiziden belastet sind", erläutert Dr. Carsten Brühl vom Institut für Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau. Ausgewertet haben die Forscher Daten, die sie im Mai und August 2020 in den Schutzgebieten gesammelt haben. Mit der verwendeten Methode ist der Nachweis von 92 aktuell in Deutschland zugelassenen Pestiziden möglich.

Auf den Insekten haben die Forschenden über die Gebiete verteilt 47 Pestizide gefunden. Im Schnitt konnten sie 16 verschiedene Pestizide auf Insekten der einzelnen Naturschutzgebiete nachweisen. In einem Schutzgebiet bestand die Belastung auf den Tieren sogar aus 27 verschiedenen Stoffen. Die minimale Belastung lag bei sieben Pestiziden. "Wenn man bedenkt, dass die Risikobewertung im Rahmen der Zulassungsverfahren von Pestiziden davon ausgeht, dass Insekten mit nur einem Pestizid in Kontakt kommen, liegt auf der Hand, wie realitätsfern diese Bewertungspraxis ist", ordnet Brühl die Ergebnisse ein.

Raumanalyse zeigt Herkunft der Pestizide

Doch woher kommen die Pestizide? Um diese Frage zu beantworten, wurden die Ergebnisse zur Pestizidbelastung mit einer Raumanalyse des IÖR kombiniert. "Wir wollten herausfinden, wo die Insekten die Pestizide aufnehmen", erklärt Lisa Eichler vom IÖR. Mithilfe des Digitalen Geländemodells (LBM-DE) hat das IÖR-Team ermittelt, welche Acker- sowie Obst- und Weinbauflächen, in denen Pestizide eingesetzt werden, sich in unmittelbarer Nähe oder sogar innerhalb der Schutzgebiete befinden. Der Untersuchungsradius wurde dabei schrittweise von 500 auf 3.500 Meter erweitert. Die Anteile der Acker-, Obst- und Weinbauflächen flossen in eine Korrelationsanalyse mit den Pestiziddaten ein. Das Ergebnis der Analyse: Die Insekten haben die Pestizide auf der Anbaufläche in einem Umkreis von zwei Kilometern aufgenommen. Naturschutzgebiete in Deutschland sind in der Regel klein. Im Durchschnitt haben sie eine Größe von unter 300 Hektar, 60 Prozent sind sogar kleiner als 50 Hektar. Sehr viele Insekten haben aber einen großen Flugradius.

Für das DINA-Team ergeben sich aus diesen Forschungsergebnissen neue Anforderungen an Schutzzonen. So müssten Pufferzonen um Naturschutzgebiete und auch um Schutzgebiete aus dem europäischen Natura2000-Programm etabliert werden, die ökologisch und ohne den Einsatz synthetischer Pestizide bewirtschaftet werden. "Politik, Wissenschaft und Landschaftsplanung müssen Pufferzonen einplanen und dabei in anderen Skalen denken, 10 bis 20 Meter reichen nicht aus", unterstreicht Dr. Martin Sorg vom Entomologischen Verein Krefeld. Die Untersuchungen ergeben, dass mit Blick auf den Flugradius der Insekten Pufferzonen von zwei Kilometer Breite angebracht wären. Die Landschaftsplanung sollte in diesen Bereichen ein Risikomanagement verwirklichen und dort prioritär Ökolandbau fördern, so die Empfehlung der Forschenden.

Berechnungen des IÖR zeigen, dass ein solcher Schutzraum deutschlandweit für alle Naturschutzgebiete rund 30 Prozent der Agrarfläche beträfe. "Diese Zahl mag auf den ersten Blick groß erscheinen", so Hauptautor Carsten Brühl. Sie  entspräche aber der Forderung der EU nach 25 Prozent und der neuen Ampelkoalition nach 30 Prozent an Bio-Landwirtschaft bis 2030. "Mit unserer Untersuchung liefern wir Empfehlungen zur Umsetzung dieses Transformationszieles, für das die Politik noch neun Jahre Zeit hat", so Brühl.

Über DINA

Das Projekt DINA (Diversity of Insects in Nature protected Areas) ist ein Verbundforschungsvorhaben zum Insektenschwund. Von 2019 bis 2023 erfassen und dokumentieren neun Partner die Insektenvielfalt in 21 repräsentativen Naturschutzgebieten in Deutschland. Ziel ist es, Datengrundlagen zu verbessern, die für einen besseren Schutz der Insektenvielfalt dringend erforderlich sind.

Das Projekt wird vom NABU (Naturschutzbund Deutschland e. V.) geleitet. Zum Projektverbund gehören neben dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung der Entomologische Verein Krefeld e. V., das Internationale Zentrum für Nachhaltige Entwicklung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die Justus-Liebig-Universität Gießen/AG Spezielle Botanik, die Universität Koblenz-Landau/Institut für Umweltwissenschaften, das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, das Institut für sozial-ökologische Forschung sowie die TIEM Integrierte Umweltüberwachung GbR, Bremen.

Gefördert wird DINA durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der FONA-Strategie (Forschung für nachhaltige Entwicklung).

Originalpublikation

Brühl, Carsten A.; Bakanov, Nikita; Köthe, Sebastian; Eichler, Lisa; Sorg, Martin; Hörren, Thomas; Mühlethaler, Roland; Meinel, Gotthard; Lehmann, Gerlind U. C.: Direct pesticide exposure of insects in nature conservation areas in Germany. In: Scientific Reports 11 (2021): 24144. doi.org/10.1038/s41598-021-03366-w

Internetseite von DINA

Kontakt im IÖR

Dr.-Ing. Gotthard Meinel (Co-Autor der Studie), E-Mail: G.Meinelioer@ioer.de
Lisa Eichler (Co-Autorin der Studie), E-Mail: L.Eichlerioer@ioer.de

Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. wird gemeinsam durch Bund und Länder gefördert.

FS Sachsen

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